Was Träume verraten
Was Träume verraten
Was fangen wir mit Träumen an, welche Bedeutung hat er für das Verständnis des Patienten, wie ist er zu interpretieren und welche Rolle spielt dieser Traum für die Wahl des homöopathischen Arzneimittels. Hierzu nun erstmal einige Anmerkungen über den Umgang und die Bedeutung von Träumen aus der Schlafforschung und der Psychologie.
Die moderne Traumforschung versteht Träume heute als psychisches Erleben im Schlaf, das geprägt ist von visuellen und akustischen Wahrnehmungen. In diesem Bewusstseins-Zustand treten die kognitiven Fähigkeiten wie begriffliches Denken und kausal-logisches Erinnern in den Hintergrund. Eine Differenzierung zwischen dem psychischen Erleben und der körperlichen Sinneswahrnehmung ist dabei weitgehend aufgehoben. Unterteilt man die Träume nach dem Inhalt des Traumes, so gibt es hauptsächlich drei verschiedene Arten von Träumen:
- Alltagsträume: wir verarbeiten Dinge im Traum die wir am Tag erlebt haben, von Arbeit, Alltäglichem, was wir gelesen, gelernt haben etc. Diese Träume sind ein Beitrag zur Alltagsbewältigung.
- Wunsch und Phantasie Träume: Träume von Dingen die wir uns tief innerlich wünschen, die aber vielleicht im Widerspruch zu gesellschaftlichen Konventionen stehen. Hierzu zählen z.B. sexuelle Träume, visionäre Träume.
- Ängste und Befürchtungen: Träume z.B. über der Tod oder den Verlust von nahe stehenden Personen.
Wir träumen in allen Phasen des Schlafs, erinnerlich sind uns die Träume jedoch nur wenn wir in den REM-Phasen (= rapid eye movement – Schlafphase mit schnellen Augenbewegungen bei geschlossenen Augenlidern) erwachen. Träume spielen in der Menschheitsgeschichte seit Tausenden von Jahren eine große Rolle. Sei es in den Schilderungen der Bibel im Alten und Neuen Testament, beim Orakel, der Mythologie oder in den Behandlungen bei den ersten großen Ärzten des Altertums, beim Tempelschlaf. Immer ging es um die zentrale Frage, die Botschaft, die Bilder aus den Träumen zu deuten oder zu verstehen, um unerklärliche Phänomene für den Menschen zu erklären oder daraus Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen. Bei den Naturvölkern, wie z.B. den Zaparas in Amazonien, sind Träume „die andere Seite der Wirklichkeit.“
Welche Bedeutung kommt den Träumen in der homöopathischen Behandlung zu? Träume können tiefe innere Ängste, Phantasien, Themen offenbaren, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind. Im Traum kann auch ein unbewusster Konflikt oder ein tiefes seelisches Trauma zum Ausdruck kommen. Dies ist oftmals bei den Wiederholungsträumen der Fall, wie sie z.B. häufig bei Missbrauch vorkommen. Berichtet ein Patient von einem Traum, so ist es für mich immer wichtig zu fragen, welches Gefühl er im Traum oder beim Erwachen aus dem Traum hatte. Fühlte sich der Patient zum Beispiel bedroht, hilflos oder alleingelassen und taucht dieses Gefühl im Laufe der Anamnese auch bei Erzählungen aus seinem Leben wieder auf, so ist dies eine Bestätigung für mich, dass der Traum ein tiefes inneres Gefühl zum Ausdruck bringt. In diesem Fall würde ich zum Beispiel nicht so sehr den Trauminhalt berücksichtigen sondern mehr das innere Gefühl in den Vordergrund stellen. Grundsätzlich kann man sagen, dass Träume ein Ausdruck der Individualität des Patienten sind. Sie können ein wichtiger Aspekt, ein kleines oder bedeutendes Mosaik im Erfassen und Verstehen des individuellen Krankheitsbildes des Patienten sein. Denn gerade darauf zielt die homöopathische Behandlung ab: das individuelle „Muster“ des Patienten zu erkennen und mit diesen Informationen das homöopathische Heilmittel herauszuarbeiten, was diesem am ehesten entspricht. Als Homöopath arbeiten wir wie ein Kommissar bei der Aufklärung eines Verbrechens. Wir berücksichtigen Symptome aus dem körperlichen, dem allgemeinen, dem emotionalen und dem geistigen Bereich. So wie ein Kommissar sich nicht ausschließlich auf das Alibi, ein Motiv oder Indizien kapriziert, sondern alle Informationen zu einem „Bild“ zusammensetzt, um den Täter dingfest zu machen.
Wenn wir die Traumsymptome direkt im homöopathischen Repertorium (Nachschlagewerk mit Auflistung vieler Symptome und den entsprechenden homöopathischen Arzneimitteln) nachschlagen, finden wir in den Rubriken z.B. Träume hartnäckig, Träume unangenehm oder auch Träume von körperlicher Anstrengung, überall das homöopathische Arzneimittel Natrium muriaticum. Eines der Charakteristika von Natrium muriaticum auf der emotionalen Ebene ist, das sie sehr verletzlich sind. Weil sie so empfindlich sind, werden sie oft verletzt, verschließen sich, werden eng, ziehen sich zurück, können Kontakt nicht ertragen. Sie verweilen in der Vergangenheit, halten an vergangen Kränkungen, Kummer und Demütigungen fest. Meist sind diese Menschen sehr verantwortungsbewusst, gewissenhaft und zeichnen sich aus durch ein ausgeprägtes Pflichtgefühl. Auch die Träume können ein trauriges Thema zum Inhalt haben, immer wieder dasselbe Thema beinhalten von Gefangennahme oder Selbstvorwürfen handeln. Hier können wir erkennen, dass die Träume auch den tiefen inneren Konflikt widerspiegeln und in eine bildhafte Sprache bringen.
Beeindruckend an Träumen ist für mich, dass durch die Heilkraft des homöopathischen Arzneimittels sich das „Drehbuch“, das Handeln im Traum verändern kann. Die Wirkung eines homöopathischen Arzneimittels kann manchmal so tiefgreifend und bis in die Schichten des Unbewussten durchdringen, dass die Patienten selbst im Traum – und auch im alltäglichen Leben – eine Veränderung und Befreiung erleben. So betrachtet hat der Prozess der Genesung, der Gesundung immer auch etwas damit zu tun, eine weitere Option, eine weitere Möglichkeit zu haben und sich von den festgefahrenen Muster zu lösen und eine größere innere Freiheit zu entfalten.