Hyoscyamus niger
Bilsenkraut, Hühnerkraut, Solanaceae – Nachtschattengewächs
foto: H. Zell/wikipedia
Pharmakologisches / Arzneilich genutzte Teile / Vorkommen und Physiologie
Das schwarze Bilsenkraut ( vulgär auch Hühnerkraut genannt, weil es, obwohl unschädlich für viele Tiere, äußerst giftig für Geflügel ist ), ist eine krautige Pflanze aus der Familie der Solanaceen, die in unserem Lande auf Schutthalden, in der Nähe der Wohnstätten, auf Brachland, in Hecken und an Wegrändern wächst.
Stengl, Blätter und Blüten fassen sich klebrig und verströmen einen schlechten, übelkeitserregenden Geruch aus. Auch der Geschmack ist durchaus Übelkeit erregend.
Die Pflanze enthält das Alkaloid Hyoscyamin, die der Hauptwirkstoff zu sein scheint und dessen Wirkung dem Atropin (Bella donna) sehr ähnlich ist.
Wir benutzen die ganze Pflanze, während der Blüte im Juli gesammelt, um daraus eine Urtinktur herzustellen, aus der wir die verschiedenen Dynamisationen verschütteln. ( Lathoud )
Toxikologie
Das schwarze Bilsenkraut enthält neben Hyoscyamin auch das Alkaloid Skopolamin.
Es hat zu Vergiftungen geführt durch Verwechslung der Blätter und Wurzeln mit Pastinaken Wurzeln oder Endivien. Durch Verzehren durch Zufall, sowie durch zu große arzneiliche Dosen, vor allem der Tinktur.
Die Vergiftungssymptome erscheinen zwischen 10 Minuten bis zu zwei Stunden nach Aufnahme der Bilsenkraut Teile. Die Mortalität liegt bei ung.11,6 Prozent.
Skopolamin und Hyoszin lähmen die Funktionen der Großhirnrinde.
Einen Einblick in Varianten des Vergiftungsverlaufes geben die folgenden Vorkommnisse :
Vier Knaben im Alter zwischen 5 und 11 Jahren hatten eine größere Menge Samenkapseln gegessen und wurden daraufhin ins Krankenhaus gebracht :
Der 11jährige zeigte ein gerötetes Gesicht, Lippen trocken, Pupillen maximal erweitert; der Knabe schlägt um sich, wälzt sich umher und schreit öfters laut auf. Durch die Magenpumpe und dem anschließenden Erbrechen wurde eine große Menge schwarzer Samenkörner entleert. Ihm wurden 9 mg Morphium injiziert, die ihn in einen tiefen Schlaf brachten. Am nächsten Morgen war er wach und völlig klar und erzählte, dass er 21 Samenkapseln gegessen hätte.
Der 5jährige spricht bei der Aufnahme fortwährend unzusammenhängende Worte mit heiserer Stimme und greift mit den Händen in der Luft umher. Die Lippen sind trocken, im Brustbereich ein scharlachähnliches Exanthem, Pupillen äußerst weit. Auch hier wurden durch Magensonde und Erbrechen massenhaft Samenkörner entleert. 3 mg Morphium schafften Ruhe, doch erwachte der Knabe in der Nacht und wurde sehr unruhig, wobei er ständig phantasierte. Auf weitere 3 mg Morphium schlief er gegen Morgen wieder ein. Die Pupillen waren im Schlaf sehr eng, wurde er aufgeweckt, so erweiterten sie sich sofort auf das Maximum, um im Schlaf wieder zu verengen. Das Scharlachexanthem war morgens völlig verschwunden und als der Patient erwachte, war er vollkommen klar.
Bei dem 9jährigen waren die Pupillen ebenfalls ad maximum erweitert, das Gesicht gerötet, die Stimme heiser; der Knabe selbst war still, apathisch und ließ sich ohne weiteres die Magensonde einführen; auch bei ihm wurde eine Menge Samen entleert; er gab an etwa 20 Kapseln gegessen zu haben. Da er ruhig war, bekam er vorerst kein Morphium, wurde aber zum Abend hin sehr unruhig, so dass ihm 6 mg Morphium injiziert wurden, die jedoch völlig ohne Wirkung blieben, während er immer mehr delirierte; eine weitere Gabe von 6 mg blieben ebenfalls wirkungslos. Morgens wurde ihm ein warmes Bad mit kalter Übergießung gegeben, worauf er einschlief und am Nachmittag völlig klar erwachte.
Der 7jährige klagte über Trockenheit im Mund, sprach heiser, das Gesicht war gerötet, das Sensorium vollkommen frei. Auf ein Emetikum erfolgte Erbrechen mit einigen Samenkörnern; Morphium wurde nicht gegeben. Am nächsten Morgen sprach er noch etwas heiser, sein subjektives Befinden war aber ein gutes.
Bei Vergiftungen erfolgt die gleiche Behandlung wie bei Belladonna-Vergiftungen. ( Louis Lewin )
Organaffinität / Seitenbeziehungen
Hyos. wirkt speziell auf das Gehirn und verursacht von da aus in jedem Organ eine Serie von Symptomen, die man in drei Stufen einteilen kann: zunächst eine Phase der Erregung mit Spasmen, dann eine asthenische Phase, in der sich Kongestionen durch Stagnation des Blutes in den Kapillaren einstellen und schließlich eine paralytische Phase, die ins Koma mündet.
Miasmatische Zuordnungen
Psorisch
Zählt lt. Bönninghausen zur 2. Klasse derjenigen Mittel, die eine kurze Wirkungsdauer besitzen.
Klinische Indikationen
Alkoholismus; Morbus Alzheimer; Amaurose; Angina pectoris; Augenerkrankungen; Bauchtyphus; Blasenlähmung; Bronchitis, Chorea; Delirium tremens; Delirium; Diarrhoe, Dysmenorrhoe; Eklampsie; Epilepsie; Geisteskrankheit; Hämoptyse; Hämorrhagie; Harnretention; Husten, Hydrophobie; Hypochondrie; Hysterie; Konvulsionen; unterdrückte Lochien; Manie; manische Depression; Meningitis; Nachtblindheit; Nasenbluten; Neuralgie; Nymphomanie; Paralyse; Morbus Parkinson; Parotitis; Pneumonie; Psychische Störungen; Raserei; Schizophrenie; Schlafstörungen; Senilität; Sexueller Wahn; Syphilophobie; Tetanus; Wochenbettpsychose; Zahnschmerzen.
Causae
Eifersucht; unglückliche Liebe; Kummer; Schreck; Üble Folgen von unterdrückten Lochien oder Milchsekretion.
Leitsymptome
Große Erregung mit Delirien und Halluzinationen; Geschwätzigkeit
Manie, begleitet von Raserei, Tanzen, wildem Reden und Lachen
Argwöhnisch und Angst beobachtet zu werden
Verlangen sich zu entblößen, die Kleidung auszuziehen, entblößt und berührt die Genitalien
Furcht vergiftet zu werden; von Tieren gebissen zu werden,
Folgen von unglücklicher Liebe, von Aufregungen, von Eifersucht und erlittenem Unrecht.
Krämpfe der unwillkürlichen und willkürlichen Muskulatur; Tremor und Zuckungen
Epileptische Anfälle, v.a. mit bläulichem, aufgetriebenem Gesicht
Zähneknirschen; Kiefersperre
Unwillkürlicher Abgang von Stuhl und Harn ( durch Lähmung )
Krampfartiger Reizhusten, sobald er abends im Bett warm geworden ist
Ruhelose Finger, spielt ständig damit, zupft an der Bettdecke; macht Gesten
Gemütssymptome
Die Gemütssymptome sind der wichtigste Bereich des Mittelbildes.
Das Nervensystem ist geschwächt.
Er kann seine Gedanken nicht ordnen, sein Minenspiel nicht beherrschen. Sein Geist ist durcheinander, die Bewegungen unausgeglichen.
Wenn dieser Zustand sich verschlimmert, führt die geistige Verwirrung zu Erregung, Delirium, Halluzinationen, Manie und Wahnsinn.
Krampfanfälle treten auf und alle diese nervösen und muskulären Paroxysmen gehen schließlich in einen Zustand tiefer Bewusstlosigkeit über.
Passive Delirien, Halluzinationen: Er taucht aus seinem Stupor auf, um zu reden und verwirrte Gespräche zu führen und versinkt dann wieder in seinen Stumpfsinn.
Wechselnde Zustände im Delirium : er ist mild und gleich darauf wieder ärgerlich und erregt.
Im Stumpfsinn liegt er ausgestreckt, murmelt unverständlich, zupft an der Bettdecke. Von dem was um ihn herum vorgeht begreift er nichts; greift nach allem was er erreichen kann, greift auch nach unsichtbaren Dingen – dieser Zustand hält an bis er wieder in tiefe Bewusstlosigkeit fällt.
Misstrauisch, eifersüchtig, zum Streiten aufgelegt, reizbar gegen jeden. Dieser Zustand misstrauischer Reizbarkeit wird von Phobien begleitet, bei denen er Angst hat allein zu sein, ermordet zu werden, zu essen, zu trinken oder Medizin zu nehmen aus Furcht vor Vergiftung.
Irrereden, Delirium, Possenhaftigkeit, lächerliche Bewegungen, Lachen und sinnloses Geschwätz.
Er sieht alle möglichen unbeschreiblichen Dinge; Er bildet sich alles Mögliche ein über die Menschen, die um ihn herum sind, wie auch über sich selbst.
Er wird sehr argwöhnisch und dieser Argwohn kann auftreten sowohl bei akuten Krankheiten, wie auch bei Schüben geistiger Verwirrung.
Er misstraut jedem; Er bildet sich ein verfolgt zu werden, dass sich alle gegen ihn verschworen haben, dass er keine Freunde mehr hat.
Er will nackt sein, sich ausziehen. Anfangs erfolgt dieses Bedürfnis nackt zu sein aufgrund der Überempfindlichkeit der Haut, die es ihm unmöglich macht Kleidung zu ertragen. Das kommt bei Irrsinn vor, kann aber auch bei akuten fieberhaften Erkrankungen auftreten. Es kommt ihm nicht in den Sinn, dass es etwas Ungewöhnliches oder Unanständiges ist. Er kann sich aber aus sexueller Erregung heraus ausziehen, kann dabei sehr obszön werden.
Erotischer Wahnsinn mit heftiger Eifersucht; unzüchtiger Wahnsinn, bei dem er grobe und obszöne Lieder singt. ( Lathoud )
Körperliche Beschwerden
Kopf:
Blutandrang zum Kopf mit Kopfschmerzen, die sich durch Wärme bessern und durch Bewegung und Vornüberbeugen verschlechtern; Krämpfe des Gehirns.
Augen:
Pupillen sind erweitert, gerötete und ungewöhnlich glänzende Augen. Wilder, funkelnder Blick; Lähmung der Augenmuskeln, Doppeltsehen, Gegenstände erscheinen in farbiger Umrandung; Funken und Blitze vor den Augen.
Ohren:
Taubheit durch Lähmung des Hörnervs; summende, singende, brausende Geräusche. Schwerhörigkeit nach Apoplexie ( wenn Belladonna versagte ).
Nase:
Nasenlöcher rußig, rauchig, Nasenbluten hellrot mit Speichelfluss; Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns.
Gesicht:
Rote, heißes, geschwollenes Gesicht; Kaltes, blasses Gesicht, bläulich, livide; Verzerrtes Gesicht; Stumpfsinniger Gesichtsausdruck; Macht Grimassen und lächerliche Gesten; Unterkiefer fällt herab; Kiefersperre. Gesicht wird sehr rot bei Hustenanfällen.
Mund:
Schaum vor dem Mund, Stinkender Mundgeruch, fauliger oder salziger Geschmack. Wundheitsgefühl der Weichteile zwischen Zahnfleisch und Wangen. Trockenheit von Mund, Rachen und Lippen.
Hals:
Krampfhafte Einschnürung des Halses, kann keine Flüssigkeiten schlucken, besser gehen feste und warme Speisen. Flüssigkeiten kommen zur Nase heraus oder gelangen in den Kehlkopf. Furcht vor Flüssigkeiten; Stechende Trockenheit; brennend, schießende, nadelartig stechende Halsschmerzen.
Verdauungsorgane:
Magenkrämpfe in periodischen Anfällen, besser durch Erbrechen; Koliken mit lautem Schreien, Erbrechen und Konvulsionen; Bitteres, leeres Aufstoßen; Schluckauf bei Säuglingen, Schluckauf durch Gehirnerschütterung.
Aufgetriebenes Abdomen, Kolik, als ob das Abdomen platzt; Rote Flecken ( Petechien ) am Abdomen; Offener Nabel bei Säuglingen, durch den Urin durchsickert.
Schwäche des Analspinkters verursacht große Schwierigkeiten beim Zurückhalten des Stuhls. Unwillkürlicher Stuhlabgang im Fieber, im Schlaf und durch Erregung. Diarrhoe nach der Entbindung; Obstipation mit Epilepsie.
Urogenitaltrakt:
Unwillkürliches Wasserlassen; häufige, spärliche, schmerzhafte, nächtliche Miktion; Harnverhaltung nach der Entbindung; Ausscheidungstörungen bei Kindern mit Hirnschaden;
Nephritis mit Delirium;
Übermäßiger Sexualtrieb; entblößt seine Genitalien; spielt mit den Genitalien im Fieber;
Hysterische oder epileptische Krampfanfälle vor den Menses; Menses sehr reichlich, hellrot; blasse Blutung mit Konvulsionen; Bettnässen während den Menses; Erkältungen setzen sich im Uterus fest und verursachen Wehen ähnlichen Schmerzen; Konvulsionen in der Schwangerschaft; Konvulsionen wenn Lochien oder Milch unterdrückt werden; Wochenbettpsychose; Nymphomanie;
Atmungsorgane /Brust:
Rauheit im Kehlkopf und Heiserkeit der Stimme; Krampfartiger, trockener, kitzeliger Husten, der ihn nachts aufweckt, Verschlimmerung durch Hinlegen, besser durch Aufsetzen; Krampfartiger Reizhusten, sobald er abends im Bett warm geworden ist; Rasselnde Atmung mit viel Schleim in den Atemwegen,
Druck , Enge und Angst in der Präkordialregion; Chronisches Herzklopfen mit Angst;
Rücken / Extremitäten:
Rückenschmerzen, v.a. in der Lendengegend mit Schwellung der Füße; Herpesartige Flecken im Nackenbereich;
Ruhelosigkeit der Finger, zupft an der Bettwäsche; Große Ruhelosigkeit, jeder Muskel zuckt; Krämpfe in Waden und Zehen; Zittern der Hände und Füße; Geballte Fäuste mit eingezogenen Daumen während Konvulsionen:
Haut:
Haut ungewöhnlich trocken und heiß; Brüchige Haut, mangelnde Empfindung; Scharlach mit ausgeprägten Gemütssymptomen; Windpocken mit Bläschen in Gruppen; Große Blutblasen; Gangränöse Flecken; Pusteln um Geschwüre; Unterdrückte Hautausschläge mit Diarrhoe;
Erschöpfender Schweiß im Schlaf;
Schlaf
Schlaflosigkeit die ganze Nacht mit Ruhelosigkeit, Zucken und Auffahren; Epileptische Anfälle enden mit tiefem Schlaf; Schläft ein, beim Beantworten von Fragen; Kind weint und schluchzt im Schlaf, ohne zu erwachen; Tiefer, komatöser Schlaf mit Konvulsionen und unwillkürlichen Bewegungen der Glieder.
Allgemeines
Ohnmachtsanfälle, wiederholte Ohnmachten; Allmählich zunehmende große Schwäche; Beschwerden nach Einatmen von Äther; Heftige Krankheitsverläufe; Passend für nervöse, gereizte, leicht erregbare Menschen;
Modalitäten, Allgemein und Lokal
AMEL: durch Bewegung, Aufsetzen, Wärme, Bücken
AGG: durch Gemütsbewegungen, Eifersucht, unglückliche Liebe, Kummer, Berührung, Kälte, abends und nachts; im Liegen, nach dem Essen; vor, zu Beginn und während der Menstruation.
Arzneibeziehungen / DD zu ähnlichen Mitteln
Stramonium: Verhaltensstörung und Manie; Gewalttätigkeit; Furcht vor Wasser; übermäßiger Sexualtrieb; Konvulsionen, Strabismus; Geschwätzigkeit; Eifersucht; Zuckungen und Tics.
Lachesis: Geschwätzigkeit, Eifersucht, Furcht vor Vergiftung; heftige Wutausbrüche; übermäßiger Sexualtrieb; Schwierigkeiten beim Schlucken; Apoplexie.
Weitere Vergleichsmittel:
Nymphomanie: Platina, Cantharis
Eifersucht und Folgen von: Ignatia, Apis, Nux vomica,
Motorische Unruhe: Agaricus, Tarantula, Arsen, Rhus tox., Jodum
Delirien: Belladonna, Cannabis ind., Veratrum album,
Unwillkürlicher Stuhlabgang: Aloe, Arsen, Acid.- phos., Phos.,
Lähmung der Blase mit unwillkürlichem Harnabgang: Opium
Reizhusten schlimmer nachts: Drosera,
Hyos. folgt gut auf : Bell., nux-v., op., rhus-t.,
Es folgen gut : Bell., phos., puls., stram., verat.
Literaturquellen :
Boericke, Seideneder, Clarke, Mezger, Lathoud, Murphy, Morrison, Bönninghausen, Vermeulen, Voisin, Lewin.